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San Francisco Halbmarathon 2025
Manuel Wolkowitsch, Juli 2025

Als Mitglied der Startgruppe B kann ich noch ruhig meine Kopfhörer zurechtrücken, während der Startschuss die Läuferinnen der Gruppe A bereits in Aufruhr versetzt hat. In diesen Minuten des Startvorgangs sind meine Nerven auf dem Höhepunkt, und meine Gedanken rasen. Meinen letzten Halbmarathon hatte ich in vielerlei Hinsicht schlecht geplant, und ich wollte nicht einige dieser Fehler wiederholen. Zumindest hatte ich gegessen: Ich hatte mir in den frühen Morgenstunden schon eine Schüssel Captain Crunch (amerikanische Kindercerealien) einverleibt. Meine athletische Vorbereitung hatte durch den kürzlichen Urlaub gelitten, aber ich fühlte mich trotzdem gut. Ich hatte mir die Versorgungsstationen eingeprägt, und sogar ein Gel steckte bereit in meiner Tasche. Soweit, so gut.

Auf geht’s!

Ich überquere die Startmatte. Mein Kopf wird ruhig, als das Kommando an meine Beine übergeht, und ich manövriere durch die dicht gedrängte Läufermasse. Der Halbmarathon startet beim Fährengebäude, führt den sonst von Touristen überströmten Pier entlang, weiter über die Nordseite der Stadt, dann über die Golden Gate Bridge und zurück. Ich markiere drei auffällige Punkte: (1) einen kurzen, aber steilen Hügel nach etwa einem Drittel der Strecke, (2) den Anstieg von der Seehöhe hinauf zur Straße der Golden Gate Bridge, die etwa 70 Meter hoch liegt, und (3) den Wendepunkt nach der Golden Gate Bridge, nach dem es endlich Richtung Ziel geht.

Nach ein paar Kilometern laufe ich entspannt im Strom und versuche, mich auf ein gutes Tempo einzuschwingen. Mein Hauptziel ist natürlich ein unfallfreier Zieleinlauf, aber eigentlich strebe ich an, die Zwei-Stunden-Marke zu unterbieten. Die letzten Testläufe waren durchweg ermutigend: Nach einem Lauf vor einigen Wochen, bei dem mein lauferprobter Freund Max mir das Tempo aggressiv vorgab, wurde ich dazu ermutigt, ambitioniertere Ziele zu setzen. Diesen Vorschlag musste ich wegen des starken Trainingsrückgangs ohnehin verwerfen, aber zumindest schien das Ziel weiterhin erreichbar.

Ich erreiche den bereits erwähnten Hügel (Streckenpunkt 1) und halte auf dem kurzen Anstieg mein Tempo, während eine Mitbewerberin neben mir ins Gehen wechselt. Meine Herzfrequenz schnellt kurz hoch und normalisiert sich schnell wieder, nachdem ich den Gipfel erreicht habe. Weiter geht es auf einem langen, flachen Abschnitt in Richtung Golden Gate Bridge. Ich versuche, ein bisschen schneller zu laufen, als es sich eigentlich angenehm anfühlt. Ich habe noch Reserven und möchte eine gute Zeit nicht gleich zu Beginn verschenken. Bevor der Anstieg zur Brücke beginnt, greife ich mir einen Becher Wasser an einer Verpflegungsstation. Wenn jetzt alles gut läuft, sieht der Lauf vielversprechend aus.

Über die Brücke und retour

Die Steigung beginnt allmählich, und das gewählte Tempo scheint zu passen. Die Zuschauermenge wächst, Veranstaltungsfotografen versammeln sich entlang der Strecke, und das Wahrzeichen der Stadt taucht, drohend hinter einer Kurve, auf. Der Anstieg ist schnell überwunden; die Strecke verengt sich auf die Breite des Fußgängerwegs, und plötzlich bin ich auf der Brücke. Der Wind bläst kräftig und kühlt meine Haut. Ich bin froh, die Anstrengung jetzt zu spüren – das bedeutet, dass ich nicht zu langsam war. Ich versuche, die Brücke zu genießen; bald geht es zurück. Ein Blick zur anderen Seite zeigt einen Läuferstrom, der auf dem Rückweg seltsam erschöpft wirkt. Auf meiner Seite scheinen alle noch recht frisch. Offenbar habe ich eine gute Gruppe erwischt.

Es geht bergab

Ich erreiche das Ende der Brücke und laufe über umfunktionierte Parkplätze. Irgendwie müssen wir jetzt unter der Brücke hindurch, um auf die andere Seite zu gelangen. Die Streckenführung führt uns zunächst weiter nach Norden auf eine abgesperrte Straße. Ich war schon einmal hier. Wir müssen bei der nächsten Kreuzung links abbiegen, durch eine kleine Senke hindurch, und schon sind wir wieder auf der Brücke. Die Streckenposten lenken den Läuferstrom nach rechts. Das war keine Wende; wir laufen weiter ins Landesinnere. Die Richtung macht mir nur insofern Sorgen, als dass sie bergab führt. Und es geht weiter bergab – bergab und bergab. San Francisco erscheint hinter einer Baumreihe auf der anderen Seite der Bucht. Inzwischen bin ich ganz unten angekommen, auf Seehöhe, und nehme ein kurzes Stechen in meinem linken Knie wahr. Meine Euphorie sinkt. In etwas verkürzten Schritten setze ich einen Fuß vor den anderen. Ich hatte den nördlichen Abschnitt der Strecke unterschätzt; auf der Karte sah er nur wie ein kleiner Zickzack mit Wende aus. Die Landschaft wird von einer massiven Stahlkonstruktion unterbrochen, die die Golden Gate Bridge stützt. Es folgt ein steiler Anstieg zurück zur Brücke. Einige Läufer rufen motivierende „Let’s do this“-Rufe in die Menge; die meisten gehen. Ich laufe weiter, aber meine Miene verfinstert sich. Serpentinen führen uns zur Brücke hinauf. Erschöpft komme ich oben an und greife nach einem Becher Wasser.

Zieleinlauf

Den kommenden Abschnitt kenne ich genau: über die Brücke und durch einen kleinen Park. Wenn ich jetzt wieder etwas Tempo aufnehmen kann, könnte ich die zwei Stunden noch schaffen. Ich versuche, mir Max vorzustellen, wie er vor mir läuft und laut ruft, dass er sicher nicht langsamer wird und ich Fahrt aufnehmen soll. Aber der imaginierte Max ist nicht so überzeugend wie der echte, und trotz mehrerer Selbstmotivationsversuche schaffe ich es nicht, schneller zu werden. Es fühlt sich an, als hätte ich mein Leistungsmaximum etwas zu früh erreicht. Ich schleife mich über die Brücke und durch den Park. Die Fotografen zeigen, dass sich mein Gesicht seit dem Anstieg nicht aufgehellt hat. Beim Zieleinlauf zeigt die Digitalanzeige zwei Stunden und zehn Minuten. Ich schätze, ich habe die Startmatte etwa fünf Minuten nach dem Startschuss überquert. Die zwei Stunden haben also nicht ganz gereicht. Ich greife nach einer Wasserflasche und einer Banane. Ich lächle wieder, als mir die Finisher-Medaille umgehängt wird – eine grellrote Brücke auf einem goldenen Metallrechteck. In gewisser Weise beendet dieser Lauf mein Auslandsjahr in den USA. Das Fährengebäude, der Pier und die Golden Gate Bridge waren keine aufregenden Eindrücke einer fremden Stadt; sie wirkten sehr vertraut. Ein Blick auf mein Handy zeigt meine offizielle Zielzeit: 02:03:53. So knapp! Beim nächsten Halbmarathon schaffe ich es.

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Manuel Wolkowitsch

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